Fliederzeit

23.05.2023

Fliederzeit

Kurzgeschichte über Emmas Familiengeheimnis

Mai 2023, Prolog, Emma Sophie ist 21 Jahre alt

Wusstet ihr, dass man den berauschenden, nostalgischen, schweren Fliederduft, der den Mai für mich ausmacht, in der Küche konservieren kann?

Wie das geht, ist eines unserer Familiengeheimnisse. Nach reiflicher Überlegung will ich heute dieses Geheimnis mit Euch teilen.

Und auch ein anderes Familiengeheimnis werde ich hier öffentlich machen. Ein dunkler Moment, der erst möglich macht, dass ich heute hier stehe, darf nach all den Jahren ans Licht kommen. Es ist an der Zeit!

Emma Sophie, Mai 2023


Mai 2001, Emma Anna Berta ist 81 Jahre alt

Trotz der geschwollenen Fingergelenke brach Emma die Zweige mit einer gekonnten Drehung von den Büschen. Die kleine Brosche an ihrem Kleid funkelte in der Sonne.

Sie drehte den Kopf, kratze sich mit dem Daumennagel unter der Unterlippe und schaute hinter sich, als hätte sie etwas Verbotenes geplant. Dann beugte sie ihren Hals, direkt oberhalb des kleinen Buckels, und steckte ihr Gesicht in den Strauß. Mit einem tiefen Atemzug sog sie den Geruch ein. Wie ein Kleinkind, dass alleine in seinem Bett, an einem tröstenden Lieblingstuch riecht, bevor es einschläft.

Einige Zeit stand sie so, dann Sie hob den Kopf, und verharrte, als wäre da Etwas, was nur sie mit ihren ausgebleichten Augen sehen könnte.

Emma Anna Berta liebte Flieder.

Anna, ihre Großnichte, wollte heute kommen um den Flieder mit ihr zu verarbeiten und um ihre Familienrezepte zu lernen.

In der Küche mit der Eckbank aus Holz, auf der all ihre drei Söhne gesessen hatten, legte sie die lila Last auf den Küchentisch.

Energisch ergriff sie einen violetten Zweig und riss die kleinen, einzelnen Blüten mit ihren Pinzettenfingern ab. Als würde sie ein Huhn rupfen. Als würde sie Augenbrauenhaare auszupfen. Als wollte sie eine Erinnerung aus dem greisen Gehirn reißen.


Mai 1938, Emma Anna Berta ist 18 Jahre alt

Es fühlte sich rein und heilig an.

Eine Sünde vor Gott sei es gewesen, hatte ihre Mutter gesagt, eine Schande für die ganze Familie.

Ein gefallenes Mädchen klang, wie ein gefallener Engel.

Der gefallene Engel war ein Ausdruck für das Böse, für den Vater der Lüge, für den düsteren Herrscher dieser Welt.

Flieder aus dem Garten der Mutter und frische grüne Zweige hatte sie für den Firmungsgottesdienst mit Schwester Augusta an den Bänken arrangiert.

"Simons Haarschnitt sieht aus wie ein Heiligenschein. Ich frage mich warum ich nicht Priesterin werden kann", sagte Emma zu der Ordensschwester.

"Jesus hat nur Männer als Apostel erwählt, er hat uns Frauen nicht den Auftrag gegeben sein Wort zu verkünden."

"Vor Gott sind alle gleich, hat Paulus an die Römer geschrieben. Also sind auch wir Frauen gleich!"

"Das steht nicht so in der Bibel, rede nicht so. Und ich sage dir das, weil ich es gut mit dir meine. Das ist gar nicht recht, was ihr da am städtischen Mädchengymnasium lernt!", flüsterte Schwester Augusta. "Frau sein bedeutet Pflegen, Beschützen und Dienen, für Sittlichkeit und Ordnung eintreten, und jede Arbeit als Abbild von Gottes Wirken begreifen."

"Frauen können, wie Bertha von Suttner, auch Schriftstellerinnen werden, den Friedensnobelpreis erhalten, und die Welt verändern!" sagte Anna laut.

Wie ein Dachs kletterte Simon außen an der Treppe zur Kanzel entlang. Der Pfarrer reichte ihm die Girlanden aus Birkenzweigen. Emma beobachtet aus den Augenwinkeln seine drahtigen Unterarme. Einige Ministranden übten mit dem Küster vor dem Altar für den Gottesdienst.

Simon hatte angeboten, sie auf dem Heimweg in das Nachbardorf mit dem Fahrrad zu begleiten. Eine gute Tat von dem zukünftigen Herrn Pfarrer. Sie kannte ihn schon immer. Er war ein ehemaliger Volksschulkamerad ihrer älteren Schwester. Im Seminar in München studierte er Theologie, seit Herbst hatte er sein externes Jahr in der Heimatgemeinde absolviert.

Über den Sinn hatten sie diskutiert und ihre Wünsche für das Leben, als sie gemeinsam sie die Jungschar vorbereitet hatten. Simon fühlte sich berufen sein Leben in den Dienst Gottes zu stellen, hatte er ihr bei dem wohltätigen Kleiderbasar erzählt. Als Seelsorger und Hirte wollte er das Leben, Streben und Sterben einer Gemeinde begleiten. Über das Gute und das Böse in der Welt hatten sie mit den Firmlingen diskutiert. Eine verführerische, widergöttliche Stimme bringt Menschen dazu Schlechtes zu tun, sagte Simon. Emma hatte widersprochen. Sie fand es wichtig für die Heranwachsenden zu erkennen, dass man manchmal selbst Schuld trägt und nicht von einem bösen Geist veranlasst wurde. Man soll sich an die Regeln halten und demütig sein, sagte Simon. Man darf hinterfragen, was man tut, fand Emma.

Dicke Wolken hatten sich aufgetürmt und der heitere Maihimmel hatte sich dunkel zugezogen. Der aufkommende Wind machte das Fahrradfahren anstrengend. Alte braune Blätter des Vorjahres wehten durch das neue zarte Grün und über den Waldweg.

Mit dem ersten Blitz kam der Regen.

Schwere kalte Tropfen.

Hagelkörner peitschten Emma ins Gesicht.

Der nächste Blitz erleuchtete die Wiese taghell.

Direkt danach kam wie ein lauter Paukenschlag der Donner.

"Das Gewitter ist direkt über uns, wir müssen uns in Sicherheit bringen!", sagte Emma atemlos. "Dahinten bei dem Hügel ist eine Scheune, dort hätten wir ein Dach über dem Kopf."

"Los!", schrie Simon gegen den Wind.

Emma war froh, als sie die Holzhütte erreichten, ihr Kleid war tropfnass. Mit kalten Fingern rüttelte sie an dem Tor. Doch die Türe der Scheune war stabil verschlossen.

Es knisterte als ein Blitz aus den schwarzen Wolken einen Lichtbogen in den Horizont malte.

Der Donner war so laut, dass Emma ihn am ganzen Körper spürte.

Sie rannte um die Hütte.

Da war eine Lüftungsöffnung, aber sie lag zu hoch.

Der hölzerne Laden schlug im Wind umher.

Ein Holunderbaum und ein Fliederbusch standen unterhalb des scheibenlosen Fensters. Simon lehnte sein Fahrrad an den Schuppen, sah nach oben und kletterte dann wie eine Katze an dem Holunderbaum hinauf und sprang in das Fenster hinein. Er legte sich auf den Bauch, beugte sich hinaus uns streckte Emma seinen Arm entgegen.

"Komm!", rief er. "Wenn du mit den Füßen auf den unteren Zweig trittst und mir die Hand reichst kann ich Dich hereinziehen.

"Du musst keine Angst vor dem Gewitter haben, wir sind durch die Bäume auf dem Hügel geschützt, hier wird kein Blitz einschlagen", sagte Simon zu der zitternden Emma.

"Mir ist es nur kalt", sagte sie und Simon zog seine nasse Jacke aus und legte sie Emma um die Schultern. Emma lachte, denn mit der nassen Jacke fühlte es sich noch kälter an. Simon schmiss die Jacke auf das Heu und legte seinen Arm um Emma.

Emma konnte sich an die Wärme seines Körpers erinnern, als er auf ihr lag.

An den Fliederduft, an das kitzelnde Heu und an seine weißblonden Haare, die sie zur Seite strich, entsann sie sich auch.

Sie wusste, dass sie ihre Arme um ihn geschlungen hatte. Sie schaute ihm in die Augen und sie erkannte ihn, wie Adam Eva erkannt hatte.

"Liebe ist stark wie der Tod und Leidenschaft unwiderstehlich wie das Totenreich. Ihre Glut ist feurig und eine gewaltige Flamme . . . (aus dem Hohen Lied Salomos, Altes Testament)

Es fühlte sich rein und heilig an.


Mai 1973, Emma Anna Berta ist 53 Jahre alt

"Und zu diesem Muttertag möchten wir Rechte, keine Rosen!", rief Emma in das Mikrofon, und die vielen Frauen auf dem Marktplatz klatschten.

"Wir Frauen haben ein Anrecht auf eine Ausbildung! Und auf einen Beruf mit dem wir unseren Lebensunterhalt selbst verdienen können."

Ihre Mutter hatte als erstes gewusst, was die Übelkeit am Morgen zu bedeuten hatte.

"Wir möchten unser Leben selbst bestimmen. Mit einem Beruf sind wir nicht abhängig von einem Ehemann."

Geweint hatte die Mutter, aber sie hatte dann alles organisiert.

"Wir Frauen dürfen zu unseren Körpern und zu unserer Sexualität stehen."

Die weite Kleidung und dann das Mütterheim.

"Wir dürfen Miniröcke tragen, aber wir sind keine Schaufensterpuppen, die der Männerwelt gefallen müssen."

Wegen überreizten Nerven sei Emma zur Kur zu Verwandtschaft in die Berge gefahren.

"Wir kämpfen zu Recht für Verhütungsmittel auf Kassenrezept!"

Angst hatte sie im Mütterheim gehabt, viele der Mädchen mussten ihre Kinder zur Adoption abgeben.

"Eine sinnvolle Schwangerschaftsverhütung ermöglicht es uns zu entscheiden, wann und ob wir Mutter werden möchten."

Mit einem Fuß im Grab hatte sie sich bei der Geburt gefühlt, ihr Körper wollte das Kind nicht hergeben.

"Wir sagen einer Politik den Kampf an, die uns ins Haus, zum Kochen und zum Kinderhüten, vor allem aber zum Kinderkriegen verdammt!"

Unter dem Fliederbusch und mit Tränen hatte sie Berta das letzte Mal gestillt.

"Ich wünsche allen Frauen, ob Mutter oder nicht, einen schönen Muttertag!"

Berta war in gute Hände gekommen, bei ihrer älteren Schwester.

"Wir sind nicht mehr das schwache Geschlecht!

Miteinander sind wir stark!

Wir sind die Hälfte der Gesellschaft!"

Applaus brandete auf, als Emma ihre Ansprache beendete. Sie schaute in die vielen Gesichter auf dem Platz vor ihr.

Es würde sich etwas verändern. Das war zu spüren.

Eine junge Frau kletterte auf die Bühne und überreichte Emma einen Fliederstrauß.

"Gemeinsam sind wir stark!" rief sie in das Mikrofon.

Gemeinsam mit Emma stieg sie die Treppe vom Podium hinunter. Sie tauchten in die Menge von alten und jungen Frauen ein, die dichtgedrängt, diesen Sonntag auf dem Marktplatz der großen Stadt demonstrierte. Die Band spielte eine heitere Melodie.

Einige junge Frauen neben ihr holten Mehltüten aus ihren Taschen. Nach einem Pfiff schmissen die Frauen Mehlbeutel auf die Polizisten, die um die Demonstranten standen.

Ein Beamte hatte das Mehl in die Augen bekommen.

Noch ein Mehlbeutel traf ihn am Rücken.

Er stolperte, versuchte sich zu fangen, verlor das Gleichgewicht und stürzte auf die Pflastersteine.

Emma blieb stehen und starrte auf den verletzten Mann.

Blut lief aus einer Wunde am Kopf.

Das sollte eine friedliche Kundgebung sein.

Die Polizisten zückten Tränengas und gingen auf die Frauengruppe zu.

"Wir leisten gewaltlos Widerstand!", rief Emma.

Durch ihr Rufen waren die Polizisten auf sie aufmerksam geworden und kamen drohend auf sie zu.

Emma lief in die andere Richtung, zog ihren Schal über die Haare.

Chaos war ausgebrochen auf dem Marktplatz.

Polizisten riegelten die Straße ab, durch die Emma den Platz verlassen wollte.

Emma sah wie Luftballons mit Farbe auf die umliegenden Schaufenster der Modegeschäfte geworfen wurden.

Da eine enge Gasse.

Rote Flecken entstanden auf den gepflegten Fassaden.

Emma duckte sich und zwängte sich durch die Menge.

Die Polizei hatte begonnen, die Farbwerferinnen festzunehmen.

Sie hatte die Gasse erreicht, sie rannte.

"So was gab es früher nicht!" rief ein alter Herr, fuchtelte mit seinem hölzernen Stock und versuchte Emma den Weg zu versperren.

Im Rennen entfernte sie den Button der Demonstration. Sie hetzte trotz der hohen Schuhe über die Pflastersteine.

Auf dem Parkplatz unter den Bäumen am Fluss stand er.

Er humpelte um das Auto und öffnete ihr die Türe. Sie ließ sich mit dem Fliederstrauß auf den Beifahrersitz fallen.

"Alles gut?", fragte er.

"Erzähl ich dir gleich, fahr los!", sagte Emma "Sonst haben unsere großen Söhne noch eine Straftäterin als Mutter …"


Mai 2001, Emma Anna Berta ist 81 Jahre alt

"Hier bin ich!", rief Anna. "Lass Dich drücken, meine Lieblingsgroßtante und verrate mir alle Deine geheimen Fliederrezepte!"

"Gut siehst Du aus Kind! Man würde nicht denken, dass Du schon 31 Jahre alt bist, so frisch, wie Du aussiehst" sagte Emma. "Ein bisschen rundlicher, das steht dir sehr gut!" Sie betrachtet Anna nachdenklich. "Ganz schön rundlich!"

Anna lachte: "Ich bin schwanger!"

Emma kratzte unter der Unterlippe und schaute nachdenklich. "Wirst Du heiraten?"

"Das haben Mama und Simon auch gefragt", sagte Anna. "Was etwas peinlich war, denn Simon ist ein betagter Priester, ein Schulfreund von Oma. Aber mir ist heiraten nur wegen einem Kind zu spießig."

"Dann wird Berta jetzt Oma", sagte Emma. "Wie schade, dass meine Schwester das nicht mehr mitkriegt. Sie hat sich so gut um Berta gekümmert. Was für ein Simon sagtest Du?"

"Es wird ein Mädchen, was hältst Du von Hanna Sophie?"

"Klingt hübsch!"

"Du hast die ganzen Fliederblüten ja schon abgezupft"

"Es hat sich wirklich etwas verändert, für dich wird es anders" sagte Emma und ließ sich auf die Eckbank fallen. Sie holte ihr Stofftaschentuch aus ihrer Tasche und fuhr sich damit über die Augen.

"Emma!" sagte Anna. "Was ist los?"

"Mein uneheliches Kind ist 1939 zur Welt gekommen. Ein halbes Jahr nachdem ich das Gymnasium abgeschlossen habe. Ich konnte es nicht selbst aufziehen. Der Schmerz und die Traurigkeit begleiten mich mein Leben lang. Und auch das Schuldgefühl meldet sich abends immer noch oft. Ich konnte lange mit niemanden darüber sprechen.

Später habe ich dafür gekämpft, dass es Frauen zukünftig besser geht. Dass die Kinder bei ihren Müttern aufwachsen können.

Und jetzt bist Du, ausgerechnet Du, in der gleichen Situation."

"Du musst dir um mich keine Sorgen machen, ich bin verbeamtete Lehrerin, ich …

1939? Tante Emma, erklär mir noch mal unser Verwandtschaftsverhältnis!"

"Also, weder Du Tante Emma noch Simon hat einen Herzinfarkt bekommen und ihr sitzt tatsächlich im gleichen Zimmer!", sagte Anna. "Und Mama, ich bin immer noch schockiert, dass du wusstest, dass Emma deine Mutter ist und Simon dein Vater und du mir das nicht gesagt hast!"

"Es war Emmas Familiengeheimnis, und ich bin ja bei Julia aufgewachsen, sie war meine Mutterfigur".

"Keiner hat mir gesagt, dass du Kontakt zu Simon hast", sagte Emma.

"Julia hat das eingefädelt, sie ist mit Simon doch in die Volksschule gegangen. Sie hat ihm die Wahrheit gesagt und die Leviten gelesen und so gab es Simon schon früh als Julias ehemaligen Schulkamerad in meinem Leben."

Emma schluckte und schaute zu Simon, der auf seinem Stuhl umherrutschte.

"Warum Du mir nie gesagt hast, was passiert ist, habe ich mich immer gefragt. Du warst immer so mutig. Vielleicht wäre mein ganzes Leben dann anders verlaufen." sagte er.

"Du bist im Sommer wieder in Dein Seminar zurück gegangen. Weit weg, irgendwo in München. Es war Dein Lebenstraum Priester zu werden. Du hattest Dich für Deine Berufung entschieden und gegen mich, als Du gegangen bist!", sagte Emma. "Das sah sogar meine Mutter so."

"Ich bin mir meiner Schuld bewusst. Ich habe lange unter der Situation gelitten. Als ich von meiner Vaterschaft erfuhr, war Berta drei Jahre alt. Du warst verheiratet. Ich war so machtlos. Ich habe gebeichtet, und Erlaubnis erhalten Kontakt zu Berta zu halten.

Ich habe dieses wunderbare Kind bestaunt, und war glücklich zu sehen wie Berta groß wird und wie sie manche Eigenschaften und Vorlieben entwickelt, die ich auch habe. Sie ist eine hervorragende Frau und Mutter geworden."

"Du wolltest der Hirte einer ganzen Gemeinde sein, nicht der Vater einer Kleinfamilie!", antwortete Emma.

"Ich weiß, du glaubst an die Verantwortung jedes einzelnen Menschen. An die Emanzipation der Frau. Und an Gleichberechtigung. Und dass man etwas tun muss für sein Glück. Du hast mir all das während meines externen Jahres erläutert. Ich habe auch alle Zeitungsartikel über Dich und Deine Frauenarbeit gelesen. Ich habe Dich für Dein Selbstbewusstsein und Dein anpackendes Wesen immer bewundert."

"Ich glaube, dass jeder Mensch die Kraft hat in der Welt etwas zum Guten zu verändern."

"Aber darf ich nicht glauben, dass eine höhere Kraft in unermesslicher Weisheit all das geplant hat? Das alles so sein sollte?"

"Der Priester ist glücklich über sein uneheliches Kind, stimmts Simon?" sagte Anna und klopfte ihm liebevoll auf die Schulter.

"Weißt Du schon, dass Du bald Uropa wirst, Simon? Der Herr lässt die Kinder zu Dir kommen!" sagte Emma. "Wünschst Du Dir ein Junge oder ein Mädchen?"

"Du hast das damals doch schon gesagt, Emma, vor Gott sind wir alle gleich! Ich freue mich riesig, Anna!"

"Es wird ein mutiges Mädchen, Simon. Wie findet ihr Emma-Sophie? Ist das ein zeitgemäßer Vorname? Und du bringst der Kleinen dann all deine traditionsreichen Fliederrezepte bei, stimmts, Emma?"


Epilog, 2023, Emma-Sophie ist 23 Jahre alt

Manchmal fühlt sich ein Geheimnis auszusprechen an, als würde man einen schweren Rucksack voller schwerer Steine absetzen. Sicher, manchmal ist ein Geheimnis auch so bitter, dass es in der Dunkelheit weiterschlafen sollte, damit wir leben können. Meistens aber führt das Lüften eines Geheimnisses zu Erleichterung und zu Verständnis von Mitmenschen, das man vielleicht gar nicht vermutet hätte. Lebensfreude und Kreativität bekommen dann wieder Kraft. Emma war eine Quelle der Liebe und Freude in meiner Kindheit. Probiert mal unsere Fliedersirup-Eiswürfel an einem warmen Sommertag mit sprudelndem Mineralwasser aus.

"Groß bist du, Herr, und überaus lobwürdig und unermesslich deine Weisheit", hat Simon in mein Babybuch geschrieben.

Ende


Emma Anna Berta Albus, geboren Mai 1920, gestorben Mai 2013 war eine deutsche Frauenrechtlerin

Lebenslauf:

  • 1920 wird Emma Anna Berta als dritte von fünf Kindern in eine katholische Familie geboren

  • Im Mai 1938 wird während eines Gewitters die uneheliche Tochter mit Simon, einem zukünftigen Priester gezeugt

  • Im Januar 1939 wird Berta, Emma Anna Bertas uneheliche Tochter in einem Mütterheim geboren

  • Im Mai 1939 gibt Emma ihre uneheliche Tochter zu ihrer verheirateten älteren Schwester Julia, die das Kind adoptiert und aufzieht.

  • 1942 heiratet Emma Waldemar, einen Nachbarn, der durch ein von der Kinderlähmung versteiftes und verkürztes Bein behindert ist und als Lehrer im Dorf arbeitet.

  • Die Behinderung erweist sich als Segen. Waldemar wird nicht für den Krieg eingezogen.

  • 1943, 1947, 1951 werden die gemeinsamen Söhne von Emma und Waldemar geboren

  • Im Mai 1973 hält Emma am Muttertag eine Rede bei einer Demonstration für Frauenrechte, sie ist damals 53 Jahren alt. Sie ist Mitbegründerin eines Frauenhauses und eines Frauenzentrums. Die Frauenbewegung hat erreicht, dass Frauen bessere berufliche Chancen haben und rechtlich Männern gleichgestellt sind. Frauen haben Zugang zu Verhütungsmitteln, ein uneheliches Kind ist keine Schande mehr.

  • Mai 2013 Emma Anna Berta stirbt mit 93 Jahren im Kreis ihrer Familie.

Zeittafel:

  • 1968 Berta hat studiert und heiratet

  • 1970 Bertas Tochter Anna wird geboren

  • Mai 2001, mit 81 Jahren trifft Emma, die inzwischen verwitwet ist, Simon wieder. Ihre schwangere Enkelin Anna erfährt, dass Emma ihre Großmutter ist.

  • 2002 Emmas Urenkelin Emma-Sophie wird geboren, Emma ist ein fester Bestandteil ihrer Kindheit.

  • 2003 Simon stirbt.

  • Mai 2023 Emma-Sophie macht Fliederzucker nach dem alten Familienrezept.

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